
Spurensuche – Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg: Verwehte Spurensuche
01
2015

Es ist nicht einfach für mich, ein Kind, das von meinen Eltern geschützt und geliebt großgezogen wurde, zu verstehen, was Krieg, Elend und Not bedeuten. Bis zum Wettbewerb „Spurensuche“ hat mich das Thema auch recht wenig interessiert. Zufälligerweise sah ich mir das Ganze an und begann Fragen zu stellen.
Auf einmal fragte ich mich, wieso in unserer Familie das Thema tabu war. Ich habe wenigstens niemanden darüber sprechen hören. Filme über die Nazizeit und gequälte Judenfamilien, zersplitterte Seelen und verhasste Namen der Konzentrationlager haben mich, wie jeden anderen beeindruckt, aber ich war nicht persönlich davon betroffen. Gott sei Dank, dachte ich jedes Mal ... Für mich ist der 2. Weltkrieg ein unbekanntes Kapitel. Oder er WAR?
Wie gesagt es begann alles an dem Tag, als ich den Titel des Wettbewerbes entdeckte. Ich fragte mich, wie es wäre, wenn auch bei uns in der Familie jemand, bzw. ICH auf Spurensuche gehen würde ... Ich begann Fragen zu stellen, aber ich kam nicht weiter.
Meine Eltern vermieden das Thema und nun lief ich zu meiner Oma, die mir sagte, sie hat gar keine Erinnerungen zu der Zeit. Ich spürte etwas in ihrer Stimme, was mich ein wenig verunsicherte. Natürlich wurde ich neugieriger und setzte mir als Ziel das weiter zu recherchieren. Zuerst legte ich fest, was ich von meiner Familie wusste. Ich rief mir in Erinnerung alle Verwandschaften, woher sie kamen, wo sie lebten, oder heute noch leben und es stellte sich heraus, dass wir ziemlich verstreut sind von Kanada bis Deutschland, von Rumänien bis Finnland. Das Bild alleine machte mich glücklich, als mir klar wurde, wie bunt meine Familie ist. Ich habe nie darüber nachgedacht.
Schritt Nr. 2: ich machte mich auf die Suche von Fotos, denn so wie ich heute in meinem PC in Ordnern halte, hielten meine Oma und teilweise meine Eltern die Bilder in Alben. Hier scheiterte fast mein Experiment, ich fand recht wenig Bilder und meine Oma erklärte mir böse, dass die Menschen zu ihrer Zeit auch Besseres zu tun hatten, als SELFIES ... Da musste ich lachen, denn ich wusste nicht, dass meine Oma das Wort kennt. Sie sagte mir, dass nur zu besonderen Gelegenheiten ließen sich die Menschen fotografieren. Und da ging mir das Licht auf! Ja, besondere Gelegenheiten. Danach war ich auf der Suche. Nach langem Suchen fand ich ein einziges Bild in dem meine Oma und mein Opa waren. Besser als gar nichts. Sie waren beide sehr jung, das Papier war verfärbt und zerknittert, Zeichen, dass es sehr „gelitten“ hat. Ich ging in die Küche mit dem Foto in der Hand und fragte Oma, ob sie nur das eine Bild mit ihr und meinem Opa habe. Anstatt mir zu antworten, zitterte sie vom ganzen Leib und riss mir das Foto aus der Hand. Schluchzend sagte sie, ich hätte nicht das Recht ..., es wäre besser, wenn ..., es sei ihre einzige Erinnerung ..., es sei alles vorbei ..., sie will ihre Ruhe haben. Ich stand da, ohne zu wissen, was ich machen sollte. Ich war fassungslos, begriff nicht, warum ein altes Bild diese Reaktion hervorgerufen hat. Sie tat mir leid, sie ist der beste Mensch auf der Erde, ich liebe sie so sehr und wollte sie auf keinen Fall ärgern.
Schritt Nr 3: Nun versuchte ich Oma zu beruhigen und das große Mysterium um das Bild zu erfahren. Aber sie brachte kein Wort heraus. Ich ging nach Hause und hatte Angst mit meinen Eltern darüber zu sprechen. Am nächsten Tag ging ich nicht zur Schule, ich hatte „Fieber“ und wartete bis die Oma zu uns kam, um auf mich aufzupassen.
Sie kam, wie erwartet, mit blauen Ringen unter den Augen, so wie ich auch. Ich bat sie um Verzeihung und sie umarmte mich lange.
Der Mann im Bild ist nicht dein Opa, nein, es ist mein erster Mann, Ein Mann, den ich mit 17 geheiratet habe, den ich sehr geliebt habe und der in den Krieg gezogen war. Wir haben uns lange geschrieben, er habe versprochen, er komme zurück, und ich habe versprochen auf ihn zu warten. Keiner hat sich daran gehalten. Er ist nicht mehr gekommen und ich habe 20 Jahre später deinen Opa geheiratet. Ich habe Kinder bekommen, du und deine Geschwister habt meine Nächte beruhigt, die Qual ist ertragbar geworden. Das ist mein Schicksal, hab ich mir tausendmal gesagt, mir ist nichts passiert in Vergleich zu den anderen, die ihre ganze Familie verloren haben.
Ok, schmerzhaft schon, aber nach so vielen Jahren, diese Reaktion? Ich fand ihr Schicksal nicht so ergreifend, es ist eine uralte Geschichte, sie hat mit meinem Opa ein tolles Leben geführt, also, etwas fehlte mir noch ...
Ein Mann ist vor Kurzem aus Deutschland gekommen. Er hat Oma besucht und ihr das Bild, das ich gefunden habe, gegeben. Der Mann ist der Sohn ihres ersten Mannes, der auf dem Sterbebett seinen Sohn gebeten hat meiner Oma ihr Hochzeitsbild, ihr einziges gemeinsames Foto zu überbringen. Das tut soooooooooo weh, er ist gestorben, sie hat eine Antwort erwartet, die nie mehr kam. Sie sind noch verheiratet, er hat eine Familie dort gegründet, sie ihre hier, aber warum? Sie hat sich „übertausendemale“ gefragt warum? Sie hat eine Antwort verdient, nun ist die kleinste Chance weg. Wie kann ein Mensch ein Leben voller Geheimnisse führen und vor allem sie mit ins Jenseits nehmen?
Wie kommt Oma klar damit?Zum ersten Mal ist mir die Suche nach Identität und die Antwort auf die Frage: Wer bin ich?, wichtig.
Das wird eine Art Richtschnur in meinem Leben werden und all das ist dem Wettbewerb „Spurensuche“ zu verdanken. Bis dahin existierten in meinem Dasein nur biografische Bruchstücke. Bin ich nicht eine Gewinnerin?
Amina Mucenicu
Colegiul National Lucian Blaga Sebeș, Rumänien