
Die Zitadelle von Amman ist eine der großen historischen und kulturellen Attraktionen Ammans. Sie ist nicht nur ein Ort, an dem sich die Geschichte eines einzelnen historischen Ereignisses oder Zeitabschnitts finden lässt. Stattdessen findet der Besucher vielmehr die Überreste der Geschichte ganzer Zivilisationen über einen Zeitraum der bereits in der Bronzezeit beginnt. Die chronologisch am weitesten zurückliegenden Freilegungen von Überresten stammen aus der Zeit der Ammoniter, den Namensgebern der heutigen Hauptstadt Jordaniens. Ihr (vermuteter) Palast ist bis heute in seinen Grundzügen auf einer der niedrigeren Ebenen der Zitadelle zu sehen und größtenteils freigelegt. Damit beginnen die Gebäudereste im 8. Jh. v. Chr. und somit in biblischen Zeiten. Neben Überresten aus dieser frühen Epoche der Geschichte der Levante findet man auf der Zitadelle einen immens gut erhaltenen Tempel des Herkules aus der Römerzeit. Erbaut zur Zeit Kaiser Marc Aurels im 2. Jh. n. Chr. ist er ein wahrer Hingucker für Freunde der römischen Baukunst. Darüber hinaus gibt es noch eine Kirche aus byzantinischer Zeit, eine Moschee aus der frühen Phase der islamischen Besiedlung zur Zeit der Umayyaden und viele weitere archäologische Funde zu entdecken.
Das macht diesen Ort zwar zum einen faszinierend, zum anderen aber archäologisch sehr schwer fassbar. Es gibt zahlreiche Überschneidungen zwischen den einzelnen Gebäuden und auch die Verschiedenartigkeit der einzelnen Überreste ist oft nicht einfach zu greifen, da das Material im Laufe der Zeit häufig in einem neuen Gebäude wiederverwendet worden ist. Noch schwieriger ist dieser Ort aber für den einfachen Besucher zu verstehen. Die verschiedenen archäologischen Schätze liegen so dicht beieinander, dass es ohne einen geschulten Guide praktisch unmöglich ist, sich das Gelände selbständig zu erschließen. An eine didaktische Aufbereitung für eine Schulklasse ist dabei noch gar nicht zu denken. Dennoch bleibt dieser Ort ein zentraler Anlaufpunkt für touristische Gruppen und zahlreiche Schulkassen.

Da ich im Rahmen meines Schulwärts-Praktikums für das Goethe-Institut Amman an der Jubilee Schule unterrichten durfte und Geschichte eines meiner Fächer ist, habe ich schon früh an ein historisches Projekt gedacht. Bei meiner Recherche nach einer Partnerorganisation für ein solches Projekt geriet ich mit dem Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI) in Kontakt, dass selber an einigen Recherchen in Amman beteiligt war. Gemeinsam vereinbarten wir den Besuch der Zitadelle durch eine meiner Schulklassen. Hierbei sollte es sich jedoch um einen besonderen Besuch handeln. Die Schülerinnen und Schüler sollten dabei nicht einfach nur an einem Ausflug zur Zitadelle teilnehmen, sondern im Rahmen einer Projekt-AG auf diesen Besuch vorbereitet werden. Am Tag des Besuchs sollten die Schülerinnen und Schüler bereits über ein grundsätzliches Wissen über die Geschichte des Ortes verfügen, da sie neben einer herkömmlichen Führung über das Gelände auch ein professionell gefilmtes Interview mit Herrn Prof. Dr. Vieweger, Leiter des DEI, führen sollten.

Zurück in der Schule begann ich also mit den Vorbereitungen des Projekts und warb in den Klassen des 11. Jahrgangs für die Teilnahme. Gemeinsam mit den Englischlehrern vereinbarte ich, dass die Teilnehmenden anhand von Interviews durch mich zu gleicher Zahl aus den verschiedenen Klassen ausgesucht werden sollten. Jedoch rechneten weder ich noch einer der Lehrkräfte mit einem solchen Andrang. Insgesamt bewarben sich 67 Schülerinnen und Schüler aus den vier Englischklassen auf die Teilnahme am Projekt. Ich verfügte jedoch nur über 20 freie Plätze und hatte das Projekt zuvor glücklicherweise nicht in den speziellen Klassen mit internationalen Abschlüssen beworben. Die Auswahl fiel mir aufgrund der Begeisterung zahlreicher Schülerinnen und Schüler so schwer, dass ich die Teilnehmerzahl letztlich auf 26 Personen erweiterte. In insgesamt drei Treffen nach dem regulären Schulschluss des 11. Jahrgangs bereitete ich die Teilnehmenden dann auf den Projekttag vor. Neben einem allgemeinen Ausblick auf die Geschichte der Zitadelle als Bestandteil eines sogenannten Tells – hierbei handelt es sich um einen archäologisch „gewachsenen Berg“, der entstand, in dem die dortigen Zivilisationen über Jahrtausende an der selben Stelle wieder und wieder Siedlungen auf den Trümmern ihrer Vorgänger errichteten und sich somit ein künstlicher Hügel herausbildete – der Vorbereitung von zwei Schülern auf das Interview mit Herrn Prof. Vieweger und einer Präsentation einer im Museum der Zitadelle zu findenden Statue durch einen Schüler, bearbeitete ich mit den Teilnehmenden insbesondere die Geschichte des biblischen Ammons. Hierbei ging es mir insbesondere darum, ein Bewusstsein für historisch-kritisches Arbeiten im Zusammenhang mit religiösen Texten und Quellen zu vermitteln. Anhand einer Bibelstelle aus dem Alten Testament wurde eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem biblischen Israel und dem Königreich Ammon zu Zeiten Davids einer systematisch historisch-kritischen Analyse unterzogen und immer in Bezug zu dem historischen Ort der Zitadelle gebracht.

Somit bekam dieser religiöse Text für die Teilnehmenden auch eine historische Dimension. Glücklicherweise waren die Schülerinnen und Schüler sehr diskussionsfreudig und so gelang es uns in einen sehr konstruktiven Dialog zu kommen, der letztlich in einer interreligiösen Debatte mündete. Die Atmosphäre war so konstruktiv, dass ich mit den Teilnehmenden gegen Ende der Vorbereitung noch eine linguistisch begründete Forschungsansicht diskutierte, nach der Jahwe, Gott und Allah die gleiche Entität darstellen.
Nach einigen bürokratischen Schwierigkeiten mit der Verwaltung der Schule kam ich am 15.10. dann mit insgesamt 26 Schülerinnen und Schülern auf der Zitadelle an. Dort begannen wir zunächst im Museum mit dem Vorlesen eines Kapitels aus dem von Herrn Prof. Vieweger verfassten Kinderbuch „Das Geheimnis des Tells“ durch eine Schülerin.

Im Anschluss daran erkundeten die Teilnehmenden das Museum zunächst selbständig und lauschten dann dem Vortrag eines Schülers, der von ihm in Eigenarbeit vorbereiteten Präsentation der dort ausgestellten Statue des Jerach-Azar. Darauf erfolgte die Führung über das historische Gelände. Der Tag wurde dann mit einem Interview zwischen den zwei ausgewählten Schülern und Herrn Prof. Vieweger abgeschlossen. Dieses soll bald in einem von der Gerda Henkel-Stiftung angefertigten Film zu sehen sein und veröffentlicht werden.
Ich blicke insgesamt sehr positiv auf das Projekt zurück. Auch wenn es einige organisatorische und administrative Schwierigkeiten gab, bin ich mit dem Gesamtergebnis doch mehr als zufrieden. Ich hoffe, dass sich auch in Zukunft eine Kooperation zwischen dem Goethe Institut und dem DEI umsetzen und sich somit das historisch-kritische Bewusstsein in der Schülerschaft steigern lässt.
Benjamin Günther im November 2017