Ein kleines Kind sitzt auf seinem Bett und schaut nachdenklich durch das Fenster. Überall an den Wänden hängen Zeichnungen, mit vielen bunten Farben. Manche Kinder wollen etwas Besonderes werden: Schauspieler, Astronaut oder Sänger. Aber dieser Junge will etwas anderes. „Schon als Kind habe ich davon geträumt, Künstler zu werden“, sagt Selman Trtovac, mittlerweile 42 Jahre alt. Das hat er heute geschafft, und nicht nur das – er ist auch der Leiter der Bibliothek des Goethe-Instituts in Belgrad. Bisher hat er viele erfolgreiche Kunstausstellungen gehabt.
Acht Jahre hat Selman Trtovac in Deutschland gelebt und dort Kunst an der Universität in Düsseldorf studiert. Für Deutschland hat er sich entschieden, weil es dort im Kunstbereich die beste Schule gab. Und: Das Studium an einer der besten Akademien war ohne Studiengebühren. Selman Trtovac kannte Künstler, die dort studiert hatten und ihm über ihre Erfahrungen erzählten.
„Das hätte Lebensgefahr bedeutet“
Als Selman Trtovac 1993 nach Deutschland ging, war die Lage in Serbien wegen des Jugoslawienkonflikts sehr schwierig. Seine Familie war erleichtert, dass er in Sicherheit war: Denn in Serbien bestand für den jungen Mann die Gefahr, in die Armee eingezogen zu werden. „Das hätte Lebensgefahr bedeutet.“ Andererseits war Selmans Familie auch traurig, dass er so weit weg war.
Sich alleine in einem fremden Land zurechtzufinden, ist immer schwer. Das hat auch Selman Trtovac erlebt. „Die kritische Zeit waren die ersten sechs Monate, bis ich meine Sprache verbessert hatte.“ Aber ganz wohl fühlte Selman Trtovac sich erst nach 2 Jahren. Es sei einfacher, wenn man andere Leute wirklich versteht oder wenn man sich durchgehend ausdrücken kann – ohne Schwierigkeiten und ohne Angst vor Missverständnissen: „Man bekommt mehr Selbstbewusstsein, wenn man eine Sprache sehr gut kennt und wenn man sich als Teil der Gesellschaft fühlt.“
„Ich musste eine Strategie entwickeln, um zu überleben.“
Obwohl Selman Trtovac weit weg von seinem Zuhause war, dachte er nicht daran, zurück nach Serbien zu gehen. Nicht weil er das überhaupt nicht wollte, sondern weil er viel überlegen musste, wie er sein Studium fortsetzen kann: „ Ich musste eine Strategie entwickeln, um zu überleben.“
Eine unangenehme Erfahrung, an die sich Selman Trtovac noch erinnert ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für Deutschland. Termine im Ausländeramt waren Stress pur für den Studenten. Die Beamten dort waren oft sehr unfreundlich. „Wann haben Sie endlich fertig studiert?“ haben sie gefragt, oder: „Sie wissen schon, dass Sie wieder nach Serbien zurückgehen müssen?“ Großer Druck für den Studenten. „Ich fand es erniedrigend und menschenunwürdig“, erzählt Selman Trtovac heute.
Gute und schlechte Erfahrungen
Dennoch glaubt Selman auch: „Wenn man irgendwo lebt, hat man immer gute und schlechte Erfahrungen. Das Studium in Deutschland war eine harte Zeit für ihn, er musste viel arbeiten. Aber er hat auch gelernt, Verantwortung zu tragen und zu eigenen Entscheidungen zu stehen. „Dank des Studiums in Deutschland kann ich mich viel besser organisieren“, erzählt der Bibliothekar.
Es fällt dem 42-Jährigen schwer zu sagen, wo das Leben einfacher war. „Ich glaube, die Slawen gehören zu emotionalen Völkern, sind emotional an ihr Land gebunden.“ Das bedeute eben starkes Heimweh, wenn man weit weg lebt. Selman Trtovac wusste, dass es zur Entfremdung von anderen Menschen kommen wird wegen der vielen Verantwortung und Arbeit. Unter den serbischen Gastarbeitern, die in Deutschland gelebt haben, gab es den Spruch: „Dein Bruder ist im Ausland nur dein Verwandter.“
Mehr Inspiration
Als Selman mit seinem Studium fertig war, gab ihm ein Gesetz die Möglichkeit, noch länger in Deutschland zu bleiben. Eine Kommission hat seine Kunstprojekte bewertet. Er war ein wichtiger Künstler für Deutschland. Damit konnte er bleiben.
Aber trotzdem hat Selman 2001 die Entscheidung getroffen, zurück nach Belgrad zurück zu gehen. Die Situation in der Kunst empfand er in Deutschland als zu bequem. In Belgrad gab es mehr Stoff, mehr Inspiration für ihn: „Dort musste nach dem Krieg alles neu gemacht werden.“ Viele Gründe, künstlerisch zu arbeiten.
Ein zweiter Kulturschock
Die Rückkehr war für Selman Trtovac wie ein zweiter Kulturschock. Der Künstler musste wieder kämpfen, um akzeptiert zu werden. „Die Leute dachten: Was will er jetzt hier?“, erzählt Selman Trtovac. Die Menschen dachten, dass er sich aufspielen will – weil er in Deutschland war. „Es war wie eine Art von Angst oder Xenophobie, Angst vor dem Fremden.“
Obwohl er am Ende Serbien gewählt hat, hat er Deutschland nicht vergessen. Er fährt immer wieder in den Ferien und im Sommer dorthin. Mit strahlenden Augen sagt Selman Trtovac: „Jedes Mal, wenn ich wieder dorthin zurück fahre, bin ich euphorisch, alle wieder zu sehen.“
Ein Beitrag von:
Milica Lučić und Andrijana Vasiljević aus Serbien
Schule:
Gymnasium „Uroš Predić“ Pančevo und 2. Gymnasium Kraguijevac