

Wenn du serbisch bist, wirst du verprügelt!
Der Geruch von Chlor liegt in der Luft. Ihre Füße zittern, weil das Wasser zu kalt ist. Die Tropfen perlen von ihrer Haut ab als Kristina, ihre Schulkameradin, sie anspricht. Was sie sei - serbisch, kroatisch? Petra wundert sich. Warum ist das auf einmal so wichtig geworden? Verwirrt antwortet sie einfach „Kroatisch“. Kristina guckt sie erleichtert an: „Gut, denn wenn du Serbisch wärst, würde ich dich verprügeln“.
1991 fordern Slowenien und Kroatien als erste Länder ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien. Als dadurch Anfang der 90er Jahre der Zerfall des ehemaligen multinationalen Großreiches beginnt, spürt man den Konflikt bis nach Deutschland. Vor allem in den Gebieten, wo viele Kroaten und Serben leben, gibt es Spannungen – dazu zählt auch Pforzheim im Süden Deutschlands, Petras Geburtsort.
Für die Familien, in denen manche Mitglieder Kroatisch und andere Serbisch sind, ist es besonders schwer. Petras Mutter ist Serbin, der Vater Kroate. Ihrer Familie ist diese nationale Trennung aber unwichtig: „Wir feierten jedes Jahr die orthodoxe Slava und das katholische Weihnachten“, lächelt sie nachdenklich. Slava ist für die orthodoxen Serben ein großer Familienfesttag, den man einmal im Jahr an einem bestimmten Tag feiert.
Dass der Konflikt auch unter den Kindern in Deutschland eskalieren würde, dachte keiner. Petra erzählt ruhig von dem Tag, als ihre Schwester tatsächlich in der Schule geschlagen wurde. Von ihren Mitschülern wurde das kleine Mädchen verprügelt – sie hatte vergessen zu sagen, dass sie Bosnierin ist. Bosnierin, weil das am neutralsten ist. Ihre große Schwester Petra musste dabei zugucken. „Trotzdem glaube ich daran, dass Menschen grundsätzlich gut sind“, erzählt Petra Tomic heute. Ihr Blick ist entspannt, aber sie knetet ihre Finger nervös: „Es gibt aber auch schlechte Dinge auf der Welt.“
Der Angriff in der Schule war der letzte Schlag, den die Eltern der Mädchen verkraften konnten. Es ging schon lange nicht mehr darum, ob sie umziehen werden, sondern nur noch wann. 1992 kehrt Petra mit ihrer Familie aus Pforzheim zurück nach Indjija, in der Nähe von Belgrad: „Ich kam aus einem geordnetem System in ein chaotisches". Die damals 12-Jährige versteht die Entscheidung ihrer Eltern nicht. Wenn der Jugoslawien-Konflikt in Deutschland nicht mehr auszuhalten war, wie ist es dann erst in Serbien?
Der geplante Umzug in das Heimatland ihrer Eltern fällt Petra sehr schwer. "Ich habe ständig geweint, wirklich gelitten", Petra zieht ihre Brille aus und dreht sie zwischen ihren Fingern. „Damals verstand ich es nicht, aber heute kann ich die Entscheidung vielleicht nachvollziehen: Wenn wir es schlecht haben, dann haben wir es wenigstens in unserem Land schlecht." Das Gemeinschaftsgefühl, nach dem sie sich gesehnt hatten, wollten ihre Eltern in Serbien finden: Zusammenhalt, Zugehörigkeit.
Petras Familie ist in Deutschland sehr gut integriert - umso schwerer fällt es dem Mädchen, alles hinter sich zu lassen. Freunde, Schule, Nachbarn. "Wir haben in einer normalen Mietwohnung gelebt, nichts besonderes. Aber ich habe diese Wohnung vermisst, die Katze und unser Kinderzimmer, wo wir uns gegenseitig gestört haben."
Der Umzug kam nicht plötzlich. Petras Eltern haben sich lange darauf vorbereitet. Nachdem das Schuljahr vorbei war, emigrierte die Familie 1992 nach Serbien.
Im Bus voller verschwitzter Menschen, die fast wie Sardinen aufeinandersitzen, ist es genauso heiß wie im Sommer in den Straßen Belgrads. Die Wälder Deutschlands ziehen an Petras Fenster vorbei, später die Lichter der Autos. Die Autofahrer fahren nach Deutschland. Petra fährt nach Serbien. Eines Tages wird sie wiederkommen, bestimmt. Aber ob das immer noch ihr Zuhause sein wird, mit all den Mängel die ihr jetzt so liebenswert erscheinen? Ihre Freunde, werden sie sie in Erinnerung behalten, im Herzen?
In Serbien erwarten sie extreme Inflation, halbleere Regale in den Geschäften und ein langweiliges Schulsystem. Die Familie zieht in ein Haus, das größer ist als die Wohnung in Deutschland. Dort hat jedes der drei Mädchen ein eigenes Zimmer. Ein Ersatz für das alte Kinderreich ist das jedoch nicht.
Der Krieg ist in vollem Gange, das spürt man auch in der Wirtschaft. Die Mädchen wundern sich über halbleere Regale. In Deutschland gab es doch so viele Arten von Süßigkeiten, Schokolade, Lakritz, Gummibärchen. Hier können sie nur zwischen zwei Kekssorten wählen.
Jede der beiden Schwestern geht einmal am Tag in die Bäckerei, um Brot zu kaufen. Ein Brot pro Tag für jede Familie – mehr gibt es eigentlich nicht. Da die Bäcker Petras Familie noch nicht so gut kennen, schmuggeln die Mädchen mehrere Brote nach Hause.
Petra lernt die serbische Sprache immer besser. „Ich Hunger, ich langweilig - so in der Art war mein Serbisch am Anfang“, sagt Petra. Heute spricht sie fließend Serbisch und Deutsch. Dafür ist ihre Mutter zu einem großen Teil verantwortlich: „Sie hat mir sehr viele Bücher auf kyrillisch gegeben, die ich gelesen habe.“ Petra betont, wie wichtig das Lesen ist: „Nicht Internet, Zeitungen oder so was, Bücher soll man lesen.“ Das serbische Schulsystem, das sich eher mit der Theorie beschäftigt, mag sie kein bisschen. „Man lernt alles Mögliche, aber man legt keinen Fokus.“
Ab 1992 ist der Krieg im ehemaligen Jugoslawien auf seinem Höhepunkt. 1995 werden etwa 8000 Muslimen aus Bosnien nach der serbischen Eroberung von Srebrenica ermordet. Der größte Genozid seit dem Holocaust. Am 4. August befreit die kroatische Militäroperation „Sturm“ (kroatisch: „Oluja“) innerhalb von 84 Stunden den Teil Kroatiens, den die serbischen Truppen vorhin eingenommen hatten. Auch dabei gab es Kriegsverbrechen, die bis heute nicht geklärt sind. Dennoch: Zumindest der Krieg in Kroatien war damit beendet.
"Ich wollte unbedingt nach Deutschland, weil ich immer noch sehr traurig war", sagt Petra und zieht an ihrem Schal. Die ersten Jahre in Serbien versucht Petra die ganze Zeit, ihre Eltern zu überreden, nach Deutschland zu fahren. 1996 darf sie endlich zurück. Die drei Wochen, die die damals 16-Jährige in ihrer Heimatstadt verbringt, sind voller Freude. Sie trifft sich mit Freunden, erkundet die Gegend. Die Stadt hat sich weiterentwickelt, ohne sie. Das neue Stadttheater zum Beispiel hat Petra überrascht. Sie sieht die Stadt anders – nicht mehr durch Kinderaugen. "Die Leute, die uns früher gemobbt haben, habe ich nicht gesehen“, sagt Petra. Auch ihre Freundinnen haben sich verändert. Die Deutschlandreise ist eine schöne Zeit für Petra. Ein bisschen zeigt sie ihr auch, wie sie geworden wäre, wenn sie dort geblieben wäre.
1999 wird die Hauptstadt Belgrad und die Umgebung, also auch Petras Wohnort Indjija von der NATO bombardiert. Hauptgrund dafür sind die Unruhen im Kosovo: Hunderttausende Einwohner fliehen von dort, viele Dörfer werden vollkommen zerstört.
Die drei Monate der Bombardierung verbringt die 18-Jährige Petra vor allem im Keller. Industriegebiete, Regierungsgebäude, aber auch Krankenhäuser werden aus der Luft angegriffen. Stromausfall ist an der Tagesordnung, die Sirenen waren täglich zu hören. Und jeder fragt sich, was als Nächstes zusammenbricht: Das Altersheim, die Kirche, das eigene Zuhause?
"Es war paradox, diese Stimmung, die herrschte.“ Tagsüber feiern die jungen Belgrader, an Studieren denkt keiner. „Aber eigentlichich waren wir total verzweifelt“, sagt Petra. Ihre Stimme wird immer leiser und langsamer: „Als 18-Jährige fand ich das einerseits total cool, aber ich musste tough sein für meine kleinen Schwestern." Petra atmet tief ein.
Im Fernsehen laufen weiterhin Zeichentrickfilme, tagsüber ist das kriegsmüde Land so normal, wie es geht. Nachmittags sitzt Petras Familie vor dem Fernseher. So lange bis das kleine Flugzeug in der Ecke des Bildschirmes auftaucht. Die ersten Male, als das Symbol erscheint, ist es für alle ziemlich schockierend. Das Flugzeug bedeutet, dass die Sirene gleich angehen wird und dass sich alle möglichst schnell in die Keller sperren sollen. Für so lange, bis der Luftangriff zu Ende ist. Die finsteren Keller sind mit Essen versorgt, in der Dunkelheit sitzen alle zusammen an die kalten Wänden gelehnt. Die Angst versuchen sie zu verstecken, doch das unangenehme Gefühl im Magen bleibt. „Trotzdem, nachdem man ein paar Luftangriffe hinter sich hat, grenzt das Gefühl fast an Gleichgültigkeit.“ Petras patriotischen Geist haben die Luftangriffe dennoch nicht geweckt. "Ehrlich gesagt fand ich generell die NATO-Aktion nicht überraschend“, sagt sie heute.
In den 2000er Jahren, nachdem sich das „Pulverfass Jugoslawien“ beruhigt hat, studiert Petra Germanistik und Japanologie in Serbiens zerfallener Hauptstadt Belgrad. Die Medien lassen das heiße Thema Krieg lange nicht in Ruhe –auch heute noch nicht. Der Kosovokonflikt wird weiterhin geführt, die erschöpfenden Diskussionen, wer Recht auf das Territorium hat und wer verantwortlich für den Massenmord in Bosnien ist – vieles wurde und wird noch nicht geklärt. Nicht, solange die Gemüter noch so unruhig sind. Einige Bürger Ex-Jugoslawiens wollen den Krieg endlich hinter sich lassen, andere sind immer noch sehr stark vom Thema beeinflusst. Sogar manche Jugendliche, die 90er Babys, streiten sich über den Krieg, den sie persönlich nicht erlebt haben. Viele Jugendliche versuchen jedoch ein ruhiges und stabiles Verhältnis zwischen den zwei dominanten Staaten Ex-Jugoslawiens – Kroatien und Serbien – zu schaffen. Petra wird sogar heute noch gefragt, ob sie in den WM-Qualifikationen für Serbien oder Kroatien ist. Darüber lacht sie nur.
Petra Tomic lebt immer noch in Serbien. Als Deutschlehrerin. Ihre jüngere Schwester arbeitet auch eng mit Deutschland verbunden, genauso wie ihre Mutter. Kinder wünscht sich Petra in der Zukunft: "Meine Kinder sollen niemals lernen zu hassen. Sie werden ihre Meinung bilden können, meine Meinung werden sie aber auch zu hören bekommen", sagt sie und lächelt. Sie bereut es nicht, dass sie nach Serbien gezogen ist. Ohne diese Erfahrung wäre sie nicht die Person, die sie heute ist. "Ich glaube, ich wäre ganz anders", sagt Petra. Für einen Moment ist Stille im Raum. "Meine Staatsangehörigkeit ist serbisch. Ich bin aber keine Serbin, keine Kroatin oder Deutsche", sagt Petra, "ich bin Bürger der Welt."
Für die Familien, in denen manche Mitglieder Kroatisch und andere Serbisch sind, ist es besonders schwer. Petras Mutter ist Serbin, der Vater Kroate. Ihrer Familie ist diese nationale Trennung aber unwichtig: „Wir feierten jedes Jahr die orthodoxe Slava und das katholische Weihnachten“, lächelt sie nachdenklich. Slava ist für die orthodoxen Serben ein großer Familienfesttag, den man einmal im Jahr an einem bestimmten Tag feiert.
Dass der Konflikt auch unter den Kindern in Deutschland eskalieren würde, dachte keiner. Petra erzählt ruhig von dem Tag, als ihre Schwester tatsächlich in der Schule geschlagen wurde. Von ihren Mitschülern wurde das kleine Mädchen verprügelt – sie hatte vergessen zu sagen, dass sie Bosnierin ist. Bosnierin, weil das am neutralsten ist. Ihre große Schwester Petra musste dabei zugucken. „Trotzdem glaube ich daran, dass Menschen grundsätzlich gut sind“, erzählt Petra Tomic heute. Ihr Blick ist entspannt, aber sie knetet ihre Finger nervös: „Es gibt aber auch schlechte Dinge auf der Welt.“
Der Angriff in der Schule war der letzte Schlag, den die Eltern der Mädchen verkraften konnten. Es ging schon lange nicht mehr darum, ob sie umziehen werden, sondern nur noch wann. 1992 kehrt Petra mit ihrer Familie aus Pforzheim zurück nach Indjija, in der Nähe von Belgrad: „Ich kam aus einem geordnetem System in ein chaotisches". Die damals 12-Jährige versteht die Entscheidung ihrer Eltern nicht. Wenn der Jugoslawien-Konflikt in Deutschland nicht mehr auszuhalten war, wie ist es dann erst in Serbien?
Der geplante Umzug in das Heimatland ihrer Eltern fällt Petra sehr schwer. "Ich habe ständig geweint, wirklich gelitten", Petra zieht ihre Brille aus und dreht sie zwischen ihren Fingern. „Damals verstand ich es nicht, aber heute kann ich die Entscheidung vielleicht nachvollziehen: Wenn wir es schlecht haben, dann haben wir es wenigstens in unserem Land schlecht." Das Gemeinschaftsgefühl, nach dem sie sich gesehnt hatten, wollten ihre Eltern in Serbien finden: Zusammenhalt, Zugehörigkeit.
Petras Familie ist in Deutschland sehr gut integriert - umso schwerer fällt es dem Mädchen, alles hinter sich zu lassen. Freunde, Schule, Nachbarn. "Wir haben in einer normalen Mietwohnung gelebt, nichts besonderes. Aber ich habe diese Wohnung vermisst, die Katze und unser Kinderzimmer, wo wir uns gegenseitig gestört haben."
Der Umzug kam nicht plötzlich. Petras Eltern haben sich lange darauf vorbereitet. Nachdem das Schuljahr vorbei war, emigrierte die Familie 1992 nach Serbien.
Im Bus voller verschwitzter Menschen, die fast wie Sardinen aufeinandersitzen, ist es genauso heiß wie im Sommer in den Straßen Belgrads. Die Wälder Deutschlands ziehen an Petras Fenster vorbei, später die Lichter der Autos. Die Autofahrer fahren nach Deutschland. Petra fährt nach Serbien. Eines Tages wird sie wiederkommen, bestimmt. Aber ob das immer noch ihr Zuhause sein wird, mit all den Mängel die ihr jetzt so liebenswert erscheinen? Ihre Freunde, werden sie sie in Erinnerung behalten, im Herzen?
In Serbien erwarten sie extreme Inflation, halbleere Regale in den Geschäften und ein langweiliges Schulsystem. Die Familie zieht in ein Haus, das größer ist als die Wohnung in Deutschland. Dort hat jedes der drei Mädchen ein eigenes Zimmer. Ein Ersatz für das alte Kinderreich ist das jedoch nicht.
Der Krieg ist in vollem Gange, das spürt man auch in der Wirtschaft. Die Mädchen wundern sich über halbleere Regale. In Deutschland gab es doch so viele Arten von Süßigkeiten, Schokolade, Lakritz, Gummibärchen. Hier können sie nur zwischen zwei Kekssorten wählen.
Jede der beiden Schwestern geht einmal am Tag in die Bäckerei, um Brot zu kaufen. Ein Brot pro Tag für jede Familie – mehr gibt es eigentlich nicht. Da die Bäcker Petras Familie noch nicht so gut kennen, schmuggeln die Mädchen mehrere Brote nach Hause.
Petra lernt die serbische Sprache immer besser. „Ich Hunger, ich langweilig - so in der Art war mein Serbisch am Anfang“, sagt Petra. Heute spricht sie fließend Serbisch und Deutsch. Dafür ist ihre Mutter zu einem großen Teil verantwortlich: „Sie hat mir sehr viele Bücher auf kyrillisch gegeben, die ich gelesen habe.“ Petra betont, wie wichtig das Lesen ist: „Nicht Internet, Zeitungen oder so was, Bücher soll man lesen.“ Das serbische Schulsystem, das sich eher mit der Theorie beschäftigt, mag sie kein bisschen. „Man lernt alles Mögliche, aber man legt keinen Fokus.“
Ab 1992 ist der Krieg im ehemaligen Jugoslawien auf seinem Höhepunkt. 1995 werden etwa 8000 Muslimen aus Bosnien nach der serbischen Eroberung von Srebrenica ermordet. Der größte Genozid seit dem Holocaust. Am 4. August befreit die kroatische Militäroperation „Sturm“ (kroatisch: „Oluja“) innerhalb von 84 Stunden den Teil Kroatiens, den die serbischen Truppen vorhin eingenommen hatten. Auch dabei gab es Kriegsverbrechen, die bis heute nicht geklärt sind. Dennoch: Zumindest der Krieg in Kroatien war damit beendet.
"Ich wollte unbedingt nach Deutschland, weil ich immer noch sehr traurig war", sagt Petra und zieht an ihrem Schal. Die ersten Jahre in Serbien versucht Petra die ganze Zeit, ihre Eltern zu überreden, nach Deutschland zu fahren. 1996 darf sie endlich zurück. Die drei Wochen, die die damals 16-Jährige in ihrer Heimatstadt verbringt, sind voller Freude. Sie trifft sich mit Freunden, erkundet die Gegend. Die Stadt hat sich weiterentwickelt, ohne sie. Das neue Stadttheater zum Beispiel hat Petra überrascht. Sie sieht die Stadt anders – nicht mehr durch Kinderaugen. "Die Leute, die uns früher gemobbt haben, habe ich nicht gesehen“, sagt Petra. Auch ihre Freundinnen haben sich verändert. Die Deutschlandreise ist eine schöne Zeit für Petra. Ein bisschen zeigt sie ihr auch, wie sie geworden wäre, wenn sie dort geblieben wäre.
1999 wird die Hauptstadt Belgrad und die Umgebung, also auch Petras Wohnort Indjija von der NATO bombardiert. Hauptgrund dafür sind die Unruhen im Kosovo: Hunderttausende Einwohner fliehen von dort, viele Dörfer werden vollkommen zerstört.
Die drei Monate der Bombardierung verbringt die 18-Jährige Petra vor allem im Keller. Industriegebiete, Regierungsgebäude, aber auch Krankenhäuser werden aus der Luft angegriffen. Stromausfall ist an der Tagesordnung, die Sirenen waren täglich zu hören. Und jeder fragt sich, was als Nächstes zusammenbricht: Das Altersheim, die Kirche, das eigene Zuhause?
"Es war paradox, diese Stimmung, die herrschte.“ Tagsüber feiern die jungen Belgrader, an Studieren denkt keiner. „Aber eigentlichich waren wir total verzweifelt“, sagt Petra. Ihre Stimme wird immer leiser und langsamer: „Als 18-Jährige fand ich das einerseits total cool, aber ich musste tough sein für meine kleinen Schwestern." Petra atmet tief ein.
Im Fernsehen laufen weiterhin Zeichentrickfilme, tagsüber ist das kriegsmüde Land so normal, wie es geht. Nachmittags sitzt Petras Familie vor dem Fernseher. So lange bis das kleine Flugzeug in der Ecke des Bildschirmes auftaucht. Die ersten Male, als das Symbol erscheint, ist es für alle ziemlich schockierend. Das Flugzeug bedeutet, dass die Sirene gleich angehen wird und dass sich alle möglichst schnell in die Keller sperren sollen. Für so lange, bis der Luftangriff zu Ende ist. Die finsteren Keller sind mit Essen versorgt, in der Dunkelheit sitzen alle zusammen an die kalten Wänden gelehnt. Die Angst versuchen sie zu verstecken, doch das unangenehme Gefühl im Magen bleibt. „Trotzdem, nachdem man ein paar Luftangriffe hinter sich hat, grenzt das Gefühl fast an Gleichgültigkeit.“ Petras patriotischen Geist haben die Luftangriffe dennoch nicht geweckt. "Ehrlich gesagt fand ich generell die NATO-Aktion nicht überraschend“, sagt sie heute.
In den 2000er Jahren, nachdem sich das „Pulverfass Jugoslawien“ beruhigt hat, studiert Petra Germanistik und Japanologie in Serbiens zerfallener Hauptstadt Belgrad. Die Medien lassen das heiße Thema Krieg lange nicht in Ruhe –auch heute noch nicht. Der Kosovokonflikt wird weiterhin geführt, die erschöpfenden Diskussionen, wer Recht auf das Territorium hat und wer verantwortlich für den Massenmord in Bosnien ist – vieles wurde und wird noch nicht geklärt. Nicht, solange die Gemüter noch so unruhig sind. Einige Bürger Ex-Jugoslawiens wollen den Krieg endlich hinter sich lassen, andere sind immer noch sehr stark vom Thema beeinflusst. Sogar manche Jugendliche, die 90er Babys, streiten sich über den Krieg, den sie persönlich nicht erlebt haben. Viele Jugendliche versuchen jedoch ein ruhiges und stabiles Verhältnis zwischen den zwei dominanten Staaten Ex-Jugoslawiens – Kroatien und Serbien – zu schaffen. Petra wird sogar heute noch gefragt, ob sie in den WM-Qualifikationen für Serbien oder Kroatien ist. Darüber lacht sie nur.
Petra Tomic lebt immer noch in Serbien. Als Deutschlehrerin. Ihre jüngere Schwester arbeitet auch eng mit Deutschland verbunden, genauso wie ihre Mutter. Kinder wünscht sich Petra in der Zukunft: "Meine Kinder sollen niemals lernen zu hassen. Sie werden ihre Meinung bilden können, meine Meinung werden sie aber auch zu hören bekommen", sagt sie und lächelt. Sie bereut es nicht, dass sie nach Serbien gezogen ist. Ohne diese Erfahrung wäre sie nicht die Person, die sie heute ist. "Ich glaube, ich wäre ganz anders", sagt Petra. Für einen Moment ist Stille im Raum. "Meine Staatsangehörigkeit ist serbisch. Ich bin aber keine Serbin, keine Kroatin oder Deutsche", sagt Petra, "ich bin Bürger der Welt."
Ein Beitrag von:
Andjela Čagalj (Serbien), unter Mitarbeit von Mahmud Mahumd (Bulgarien) und Jasmin Vogel (Deutschland)
Andjela Čagalj (Serbien), unter Mitarbeit von Mahmud Mahumd (Bulgarien) und Jasmin Vogel (Deutschland)
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#1
Benni
am
07/30/13 um 11:34
Toller Artikel, geht einem ans Herz!