Eine Zeitzeugin erzählt
Schon seit langem sind wir mit dem Unrecht des Naziregimes vertraut, weil es ja auch zu unserer Geschichte gehört. Dass es für Menschen, die ‘anders’ waren schlimm war, das wussten wir, aber wir haben nie darüber nachgedacht, dass es nach dem 2. Weltkrieg auch so schlimm in der DDR war. Man könnte sagen: “Ach, warum muss diese Frau jetzt darüber sprechen? Geh in die Bibliothek und du findest 50 Bücher zu diesem Thema!” Aber das Besondere war, dass wir jetzt die Möglichkeit bekamen, mit einem Zeitzeugen zu sprechen, der sich noch ganz genau an alles erinnern kann.
Vor uns stand eine Frau, die sehr viel erlebt hatte. Aber sie hat es jedesmal wieder geschafft, neuen Mut zu schöpfen, um durchzuhalten und weiter zu machen. Caritas Führer: eine wirkliche Persönlichkeit.
Einsamer Kampf gegen das DDR-Regime

Als Einführung hatte sie ein Gedicht mitgebracht, das sie geschrieben hatte, als sie in unserem Alter war. Die Worte, die die damals 17-Jährige in ihrem Gedicht "Vorsatz" verwendet, legen Zeugnis eines frühen Erwachsenseins ab, und natürlich auch von der Notwendigkeit, früh reif sein zu müssen, um sich sich gegen die harte Außenwelt verteidigen zu können. In dem Gedicht spricht sie von Themen wie ‘anderen bewusst machen’, ‘immer weiter kämpfen’, ‘Mut aus Rückschlägen schöpfen’, ‘anderen Mut machen’, und vor allem ‘nie vergessen (wollen), wer man ist und welche Ideale man hat’. Als sie das Gedicht auf Deutsch las, verstanden wir nicht gleich alle Worte, aber durch ihre Vortragsweise und emotionale Ausdruckskraft konnten wir erahnen, worum es sich handelte. Man spürte nicht Trauer oder Ratlosigkeit, sondern Selbstbewusstsein und innere Stärke. Als sie dieses Gedicht schrieb, konnte sie nicht hoffen, dass sich jemals die Berliner Mauer öffnen würde… Aber dennoch hat sie die Hoffnung nie aufgegeben. Dass eine 17-Jährige ein solches Gedicht hat schreiben können, hat uns sehr beeindruckt.
Vorsatz
brennen
nur nicht verbrennen
andere wachzünden
nie zu asche werden
stolpern weil steine liegen
nur nicht hinfallen
kraft entgegensetzen
können wird keule sein
niedergeherrscht werden
nur nicht unten blieben
andere hochreißen
nie an dreck gewöhnen
singen weil schweigen tod is
selbst beim klagelied
nicht die strophe
vom handeln vergessen
C. Führer
Ein Kind muss "dazugehören"
Trotz ihrer schwierigen Jugend ist es dieser Frau gelungen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass Caritas Führer keine Hassgefühle mehr zeigt, wenn sie heute die Möglichkeit hat, denen etwas zu sagen, die sie in ihrer Kindheit schlecht behandelt haben.
Als wir sie fragten, ob sie nicht manchmal von Klassenkameraden oder Lehrer beeinflusst worden ist, gab sie eine etwas überraschende Antwort: Ein Kind muss das Gefühl haben, dazu zu gehören. Es muss das Gefühl haben, Teil einer Gruppe zu sein, ansonsten kann man sich nicht wohlfühlen.
In ihrer Schulzeit war es normal, dass eine Klasse, in der alle Schüler den Pionieren angehörten extra Punkte bekam, die man gegen Geld tauschen konnte. Mit diesem Geld konnte man dann etwas mit der ganzen Klasse unternehmen. Weil sie aber kein Mitglied bei den Pionieren war, bekam die Klasse nie alle Punkte und deshalb waren ihr ihre Klassenkameraden öfters böse. Dies waren die einzigen Momente, in denen sie wünschte, sie sei eine von "ihnen".
Eine beeindruckende Frau
Unser Gesamteindruck: vor uns stand eine Frau mit einer außergewöhnlichen Willensstärke, einer beeindruckenden inneren Kraft und einer verwundeten Seele. Dennoch findet Caritas Führer den Mut, mit uns zu sprechen und ihre negativen Gefühle und Erfahrungen in den Hintergrund zu stellen. Sie schafft es, Elemente des Positiven und der Zuversicht herauszustellen.
Ein Beitrag von:
Charlotte Weyns & Gil Boeckx
Schule:
Onze-Lieve-Vrouwecollege (Belgien)