Heute sollte ein banaler Tag wie jeder andere sein. Arbeiten, essen, „The Voice“ schauen und schlafen. Als ich heute Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fühlte ich mich weder besonders schlecht noch gut. Ich lag für eine kurze Zeit auf dem Bett, versuchte dabei, mich an die Träume, die diese Unruhe in mir aufheizten, zu erinnern. Dann ist mir aufgefallen, dass ich Angst hatte, Angst vor der Unsicherheit des Lebens, den fremden Gesichtern auf dem Markt, der Änderung des Wetters, der Arbeit.
Ich schüttelte meinen Kopf, um mich von diesen wahnsinnigen Gedanken zu befreien, wusch mein Gesicht, und ging die Treppe hinab. Meine Frühstücksroutine war merkwürdig normal, außer dass ich den angebrannten Teil des Toastes sorgfältig ausschnitt, da ich Angst vor Krebs hatte. Ich trank heute anstatt schwarzem Kaffee Milch. Koffein ist nicht so gesund, wenn man schon 30 ist. In paar Jahren werde ich 35, 40, dann irgendwann 70. Meine Zukunft steht nicht mehr vor mir wie im Alter von 20. Ich spuckte die Milch sofort aus, weil sie verdammt sauer war und nach faulen Eiern roch. Das war schon merkwürdig und nicht mehr normal. War das ein Zeichen? Die Vorahnung eines schlechten Tages. Ich hatte schon schlechtere Tage gehabt, aber heute könnte der schlechteste Tag meines Lebens sein, vielleicht.
„Ich muss jetzt fort zur Arbeit“, dachte ich mir, als ich auf meine Uhr schaute. Das Denken verbrauchte zu viel Zeit und tat meinem Kopf weh. Ich packte meine Sachen eilig in die Ledertasche und schaute noch mal genauer, um sicher zu sein, dass ich nichts Wichtiges vergessen hatte. Ich hätte sie aber ein drittes Mal überprüfen sollen. Ich lief ziemlich schnell zum Bahnhof. Es war windig und noch dunkel. Still war die Straße, die hinauf zum Bahnhof führte. Ich sah kein bekanntes Gesicht und als ich durch den Nebel ging, bemerkte ich die Silhouette eines gekrümmt wirkenden Mannes, der gerade eine Kippe rauchte. Er trug einen alten Trenchcoat und hatte einen seltsamen jambischen Rhythmus beim Laufen. Plötzlich erwachte ein Drang in mir. Ich wollte rauchen. Ich ging schnell zu ihm und fragte höflich, ob er mir eine Zigarette anbieten könnte. „Nein“, antwortete er und lächelte dabei. Ich weiß nicht, warum er mir keine geschenkt hat. Er schien ein netter Kerl zu sein und ich war ziemlich sicher, dass er noch welche hatte. Da ich mich sehr schämte, ging ich den Rest des Weges sehr schnell. Ich traute mich nicht zurückzuschauen, falls er sein gruseliges Lächeln noch immer im Gesicht trug.
Die Bahn näherte sich gerade dem Bahnhof, als ich die Treppen zum Gleis hochging. Ich war pünktlich und die Bahn auch. „All die unglücklichen Vorfälle dieses Morgens werden vergessen sein, wenn ich in die Bahn einsteige und zur Arbeit fahre“, dachte ich mir, als die mit Schnee bedeckte Bahn zum Halten kam. Meine Hände fingen an zu zittern. Ich war mir nicht sicher, ob es von der Kälte oder irgendeiner psychosomatischen Krankheit kam, aber ich konnte den Türknopf nicht drücken. Mein Finger fasste bloß den Knopf an, ohne ihn kräftig drücken zu können. Die Passagiere schauten mich alle komisch an. Sie sahen aus, als ob sie mir helfen wollten, aber aus irgendeinem Grund Angst davor hatten. Ich versuchte die nächste Tür zu öffnen, aber ich schaffte es nicht. Die Leute in der Bahn ignorierten mich einfach. Ich versuchte noch eine andere Tür zu öffnen, obwohl ich und alle Passagiere wussten, dass meine Anstrengung müßig war.
Als die Bahn beschleunigte, wusste ich genau, dass es schon zu spät war. Mein Tag war kaputt. Die Milch, die Kippe, die Bahn, ich wusste wirklich nicht, was danach noch kommen sollte. Vielleicht würde ich von einem Auto überfahren werden. Wenn heute noch gut laufen würde, wäre vielleicht morgen der schlechteste Tag meines Lebens. Ich war völlig am Boden zerstört, als die Bahn durch den Nebel in der Ferne verschwand. „Gib‘s auf, Gib‘s auf“, rief der rauchende Mann und lachte sadistisch.
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Der Literaturliebhaber und Gitarrist Santichai Pornavalai, Spitzname Santi, ist 18 Jahre alt und in der 11. Klasse. Seine Schulzeit verbrachte er auf einer internationalen Schule, bis er sich für ein Auslandsjahr in Deutschland entschied und dort eine Schule in Hannover besuchte. Seit seiner Rückkehr vor einem Jahr besucht er die Swiss School Bangkok.
Schule:
Swiss School Bangkok